Atari vs. Amiga

Fragt man Computernutzer von damals nach der prägendsten Software dieser Epoche, so dürfte die einhellige Antwort Turrican II lauten. Das Spiel war über Jahre hinweg der Referenztitel im Bereich der 16-Bit-Actionspiele und hatte für Amiga-Besitzer eine Strahlkraft wie Sonic für Sega und Mario für Nintendo. Das liegt zu gleichen Teilen am Game- und Level-Design von Manfred Trenz, der das Spiel zeitgleich für den Commodore 64 entwickelte, und an der souveränen technischen Umsetzung durch Factor 5, die den Kölnern die Tür in die internationale Software-Industrie öffnete. Das Spiel ist nicht zuletzt auch in die Annalen der Amiga-Geschichte eingegangen dank des Soundtracks von Chris Hülsbeck. Ohnehin waren die Sound-Fähigkeiten des Amigas aufgrund des verbauten Paula-Customchips für andere Rechner auf Jahre hinaus unerreichbar, auch in Bezug auf die Diversität der produzierten Musik. Ein Commodore 64- Soundtrack (oder allgemeiner: Musik der 8-Bit-Ära) hat immer die gleichen klanglichen Eigenschaften, auch wenn sich die Kompositionen natürlich stilistisch vollkommen unterscheiden können. Der Amiga dagegen hat keinen beim ersten Hinhören eindeutig distinguierbaren Sound. Die Technik erreichten einen Stand, in der das Kunstwerk in seiner Ausführung unabhängiger vom Trägermedium wurde. Dass es grundsätzlich ein Bewusstsein dafür gab, und Computer-Musiker erstmals nicht als Lieferanten für bloßes Hintergrundrauschen verstanden wurden, sondern als Künstler, die nicht an ein bestimmtes Medium (eben den Computer) gebunden waren, zeigen die ersten CDs, die in dieser Zeit erscheinen. Szene-Stars, wie Jochen Hippel (im Wesentlichen aktiv auf dem Atari ST) und eben Hülsbeck, präsentieren im Studio aufgebohrte Versionen ihrer besten Werke. Umgekehrt werden Chart-Erfolge lizenziert für Spiele wie Xenon 2 – Megablast (Bitmap Brothers, 1989, Musik von Bomb The Bass) oder Ooops Up (Demonware, 1990, Musik von Snap). Überholt wurde der Amiga-Sound erst, als es durch CD-ROMs möglich wurde, Musik in CD-Qualität zuzuspielen. Dies geschah erst gegen 1993, in etwa sechs Jahre nach dem Amiga-Debüt; für eine unverändert gebliebene Hardware eine beeindruckende Zeitspanne.

Der Atari ST hingegen hatte als unschlagbares Argument für Musiker eine eingebaute MIDI-Schnittstelle, die den ST mit Programmen wie Cubase bereits ab 1989 zu einem sehr preisgünstigen und beeindruckend intuitiven Studio-Tool machte. Ansonsten fällt der ST im Spielebereich gegenüber dem Amiga spürbar ab; Turrican II bietet sich für einen direkten Vergleich an, da beide 16-Bit-Versionen von Factor 5 in-house entwickelt wurden, von einem Team also, das zum damaligen Zeitpunkt in der Presse wie auch bei den Fans als unschlagbar auf dem Gebiet der 16-Bit-Actionspiele galt, von dem man also erwarten kann, dass es das jeweils Bestmögliche aus den beiden Maschinen herausholt. Tatsächlich wurden Sprites und Tiles 1:1 auf den ST portiert, ansonsten aber ist die Grafik dort spürbar schwächer, da z. B. nicht auf die Copper-Effekte zurückgegriffen werden konnte, die auf dem Amiga für die Hintergründe der ersten Welt verwendet wurden. Auch umfasst die sichtbare Spielfläche nur ca. 70% des Bildes der Amiga-Version. Auf der Tonebene fehlen zahlreiche Soundeffekte, die Arrangements sind vereinfacht und die Instrumente weniger organisch als in der Amiga-Version (die Ausnahme ist der Titelsound, der – offenbar über Samples – weitestgehend auf den ST hinübergerettet wurde).

Der Vergleich zwischen Amiga und Atari ST ist deswegen so interessant, weil er nicht nur die technischen Möglichkeiten der beiden Rechner aufzeigt, sondern auch ein Stück Spielerkultur dieser Zeit beleuchtet. Man kann nicht über 16-Bit-Rechner reden, ohne die aus heutiger Sicht absurd wirkende Rivalität zwischen Atari- und Amiga-Besitzern anzureißen. Eine wichtige Quelle dafür sind die Spielezeitschriften – insbesondere die ASM –, deren Leserbriefseiten ein Forum für über Monate geführte Diskussionen waren, eben auch zu diesem Thema.

An Turrican II lassen sich zwei weitere Eigenheiten der 16-Bit-Ära festmachen: Das Spiel hatte bereits damals einen legendären Ruf, was es nur haben konnte, weil das Interesse an Computerspielen eine kritische Masse erreicht hatte, die eine eigene Kultur entstehen ließ, mit eigenen Zeitschriften, Messen und einem florierenden, schnelllebigen Markt für neue Spiele (diese Einordnung ist eine rein zeitliche und betraf nicht nur 16- sondern auch 8-Bit-Rechner). An den Verkaufszahlen von Turrican II lässt sich andererseits ablesen, dass sich weite Teile der Nutzer Raubkopien bediente. Die CPC-Version z. B. wurde, laut Factor 5, im dreistelligen Bereich verkauft. Die Zahlen für die 16-Bit-Versionen werden deutlich besser gewesen sein, dürften aber hinter den Erwartungen zurückgeblieben sein. Factor 5 wollte aus diesem Grund Turrican 3 nur noch für das Sega Mega Drive entwickeln und produzierte eine Amiga-Version nur als Zugeständnis an die Fans – was wiederum die Relevanz der Spieler-Kultur unterstreicht.

Andere 16-Bit-Rechner neben dem Amiga und Atari ST (wie der Archimedes oder Sinclair QL) waren in Deutschland Randerscheinungen und nehmen weniger Raum ein.

Dass die Halle auch 8-Bit-Nachzügler Mitte der 1980er beinhaltet passt gut ins Bild, da sich vieles von dem, was Spielkultur betrifft, nicht exklusiv auf die 16-Bit-Rechner beschränkt, sondern auch auf die 8-Bit-Rechner überträgt.